Am 24. November 2024 stimmen wir über den Ausbauschritt 2023 des Strategischen Entwicklungsprogramms (STEP) Nationalstrassen ab. Die vom Bund geplanten Investitionen in Höhe von 5,3 Milliarden Franken sollen in sechs regionale Projekte zur Engpassbeseitigung fliessen. Sie dienen dazu, die Funktionsfähigkeit unseres Nationalstrassennetzes erhalten zu können. Ein JA zu dieser Vorlage ist von grosser Bedeutung für die Zukunft unseres Verkehrsnetzes.
Zur Bedeutung und der Notwendigkeit der geplanten Engpassbeseitigungen haben wir den Direktor des Bundesamtes für Strassen (ASTRA), Jürg Röthlisberger, befragt.
Herr Röthlisberger, welche Rolle und welchen Stellenwert haben die Nationalstrassen in unserem Verkehrssystem?
Die Nationalstrassen sind die Stütze des Strassenverkehrs und der Mobilität insgesamt. Auf rund drei Prozent des gesamten Strassennetzes werden über 40 Prozent des Personenverkehrs abgewickelt, beim Güterverkehr sind es über 70 Prozent. Die meisten Fahrzeuglenkenden nutzen die Autobahn dabei für Fahrten in der Region, sie entlastet somit Städte und Agglomerationen vor Umfahrungsverkehr. Aufgrund der Verkehrszunahme der letzten Jahre gibt es auf den Autobahnen aber immer mehr Staus und in der Folge Ausweichverkehr auf den Kantons-, Gemeinde- und Quartierstrassen. Die Autobahnen verlieren zunehmend ihre hauptsächliche Funktion als Drainageleistungen für Dörfer und Agglomerationen.
Für den Ausbauschritt 2023 des STEP ist ein Investitionsvolumen von 5,3 Milliarden Franken vorgesehen. Wie werden diese Gelder eingesetzt?
Wir wollen bis 2030 vor allem in den städtischen Agglomerationen den Verkehrsfluss und die Verträglichkeit der Autobahnen verbessern. Denn fast die Hälfte aller Staus treten rund um die städtischen Zentren der Schweiz auf – mit der Folge, dass sich der Ausweichverkehr den Weg durch Städte, Gemeinden und Quartiere sucht. Der Ausbauschritt 2023 sieht daher die sechs Projekte A1 Wankdorf – Schönbühl, A1 Schönbühl – Kirchberg, A1 Rosenbergtunnel in St. Gallen, A2 Rheintunnel in Basel, A4 Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen und A1 le Vengeron-Nyon in den Kantonen Genf und Waadt vor. Diese Projekte sorgen für einen besseren Verkehrsfluss, minimieren den ungewollten Ausweichverkehr und erhöhen die Verkehrssicherheit und die Robustheit des Netzes.
Warum sind diese Investitionen in unser Nationalstrassennetz unumgänglich?
Seit 1990 hat sich das Verkehrsaufkommen auf den Nationalstrassen mehr als verdoppelt – und dieses Wachstum ist spürbar. Bereits heute ist das Nationalstrassennetz vielerorts stark ausgelastet oder gar überlastet. Die Folge sind über 40 000 Staustunden pro Jahr und volkswirtschaftliche Verluste von drei Milliarden Franken. Ohne Gegenmassnahmen – diese reichen von der besseren Auslastung der Strassen mit Verkehrsmanagement bis hin zu punktuellen Ausbauten – werden 2040 ein Viertel der Nationalstrassen regelmässig überlastet sein. Die Folgen wären noch mehr Ausweichverkehr, der die Bevölkerung in den Agglomerationen, Gemeinden und Quartieren belastet und die Lebensqualität der betroffenen Menschen reduziert. Zudem wollen wir das Nationalstrassennetz robuster und unterhaltsfähiger machen. Mit den Ausbauten verflüssigen wir nämlich nicht nur den Verkehr auf der Autobahn, sondern können bestehende Tunnelinfrastrukturen in Schaffhausen und St. Gallen instand setzen, ohne jeweils den Verkehrsinfarkt zu verursachen.
Die Behauptung, dass mehr Strassenraum zu mehr Verkehr führt, hält sich hartnäckig. Führen die geplanten Projekte tatsächlich zu mehr Verkehr?
Wir bauen keinen einzigen Meter neue Strassen, sondern bauen bestehende Autobahnen punktuell aus. Wichtig dabei ist: Die zurückgelegte Anzahl Personenkilometer auf den Strassen wird weiter zunehmen. Wir bauen somit keine Strassen auf Vorrat aus, sondern reagieren mit einem punktuellen Ausbau bestehender Strassen auf eine gesteigerte Nachfrage. Mit dem Ausbau werden wir den Strassenverkehr wieder vermehrt dorthin bringen, wo er hingehört, nämlich auf die Autobahn. Ein Mehrverkehr auf der Autobahn ist somit kein negativer Nebeneffekt, sondern die erhoffte Wirkung. Der Ausbau der Nordumfahrung Zürich ist hierzu ein gutes Beispiel: Seit der Inbetriebnahme der dritten Röhre Gubristtunnel sind die Staustunden und auch die Unfallzahlen deutlich gesunken. In der Folge verlagerte sich der Verkehr zurück auf die Autobahn, Kantons- und Gemeindestrassen wurden punktuell um bis zu 20 Prozent entlastet. Das ist ein massiver, ganz konkreter Sicherheitsgewinn für alle Verkehrsteilnehmenden.
Welches sind die Bedenken gegenüber den geplanten Engpassbeseitigungen, mit denen sich das ASTRA am meisten konfrontiert sieht?
Ein wichtiges Thema sind verständlicherweise die Fruchtfolgeflächen. Da bei drei der sechs Projekte Tunnels gebaut werden, benötigen wir davon aber relativ wenig, nämlich rund acht Hektaren. Die entsprechenden Flächen kompensieren wir zu 100 Prozent. Was uns in den Diskussionen rund um den Ausbau besonders auffällt, sind die grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber dem Strassenverkehr und das Denken in Ausschliesslichkeiten. «Man muss nur» hört man viel zu oft. Man müsse nur den ÖV und das Velo fördern und zudem ein wenig Homeoffice anordnen, und die Verkehrsprobleme seien gelöst. Leider hält sich die Realität nicht an derart einfache Postulate. Sie verlangt vielmehr danach, dass wir einerseits mehr Effizienz aus den bestehenden Angeboten und technologischen Möglichkeiten herausholen und die Chancen der Digitalisierung und Elektrifizierung erschliessen. Hier denke ich schwerpunktmässig an das automatisierte Fahren und die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte. Andererseits müssen wir die Verkehrsinfrastrukturen (Strasse und Schiene) punktuell ausbauen. Die zukünftige Mobilität braucht die besten Gedanken und die effizientesten technischen Lösungen. Stillstand hingegen ist keine Antwort auf die kommenden Herausforderungen.
Die geplanten Investitionen in die Beseitigung von Engpässen haben ja zum Ziel, den Verkehrsfluss auf den Nationalstrassen zu verbessern. Wer alles profitiert davon?
Direkt und indirekt profitieren alle Verkehrsteilnehmenden – vom Automobilisten auf der Nationalstrasse über die Busfahrerin in einer Agglomeration, die Velofahrerin auf der Gemeindestrasse bis hin zum Kind auf dem Schulweg. Indem wir nämlich den Verkehrsfluss auf den Nationalstrassen erhöhen, werden Kantons-, Gemeinde- und Quartierstrassen entlastet. Dies wiederum erhöht auch dort die Verkehrssicherheit. Zudem schafft die Entlastung dieser Strassen Raum für die weitere Entwicklung des öffentlichen Verkehrs, des Fuss- und Veloverkehrs. Die Lebensqualität für Bewohnerinnen und Bewohner in verkehrsbetroffenen Ortschaften und Regionen wird sich somit ganz grundsätzlich verbessern.
Was wären die Folgen, wenn das Stimmvolk die Vorlage ablehnen würde?
Bei einem Nein könnten wir die sechs Projekte des Ausbauschritts 2023 nicht realisieren und auch die anderen Ausbauprojekte zur Entlastung der Dörfer und Agglomerationen wären damit sehr stark infrage gestellt. Wir sind überzeugt, dass Stillstand bei der Infrastrukturentwicklung eine sehr schlechte Antwort auf die Dynamik von Wirtschaft und Gesellschaft ist. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass wir der Stimmbevölkerung den Nutzen eines langfristig funktionierenden Nationalstrassennetzes aufzeigen können.