Quelle: Tagesanzeiger, 27.05.2016
Mobility-Pricing ganz konkret: Autofahrer sollen 5 Rappen pro Kilometer zahlen, Zugfahrer 20 – zu Spitzenzeiten mehr. Das zeigt ein unveröffentlichtes Papier der Zürcher ACS-Sektion.
Die Idee ist simpel. Wer viel und auf beliebten Strecken zu attraktiven Zeiten fährt, soll mehr bezahlen. Diffiziler wird es, wenn es um die Umsetzung des sogenannten Mobility-Pricing geht. Seit gut einem Jahrzehnt geistert die Idee als Schlagwort durch die Debatte, ohne dass die Politik je ein konkretes Projekt daraus geformt hätte. Immerhin, vor einem Jahr hat der Bundesrat einen Konzeptbericht zu Mobility-Pricing in die Anhörung geschickt. Die zuständigen Bundesämter sind derzeit daran, die Stellungnahmen auszuwerten.
Allerdings, den Planspielen aus dem Verkehrsdepartement von Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) fehlt bislang ein gewichtiges Element: das Preisschild. Ob Mobility-Pricing in Politik und Bevölkerung je Akzeptanz finden wird, dürfte entscheidend davon abhängen: Was werden Auto-, Zug- und Busfahrten in Zukunft kosten? Eine mögliche Antwort darauf gibt nun die Zürcher Sektion des Automobil-Clubs der Schweiz (ACS). In einem noch unveröffentlichten Papier, in das Redaktion Tamedia Einsicht nehmen konnte, hat sie konkrete Berechnungen angestellt.
Wie der Bundesrat will die Zürcher ACS-Sektion den Verkehr insgesamt nicht verteuern. Vielmehr sollen beim Auto die fixen Abgaben – für Autobahnvignette, kantonale Motorfahrzeugsteuer und Automobilsteuer – fahrleistungsabhängigen und dynamischen Abgaben weichen. Auch der öffentliche Verkehr wird im ACS-Modell nach den effektiv gefahrenen Kilometern bepreist. Pauschalen wie das Generalabonnement (GA) fallen somit weg – ein delikater Vorschlag, gilt das GA doch verbreitet als unantastbares Heiligtum, wie sich jüngst einmal mehr gezeigt hat: Kaum hatte Ulrich Gygi die Idee geäussert, das GA sei ab einer bestimmten Anzahl Fahrten zu verteuern, fegte über den scheidenden SBB-Verwaltungsratspräsidenten ein Entrüstungssturm hinweg.
Ausgangspunkt des ACS-Modells ist eine Basisgebühr pro gefahrenem Kilometer für wenig belastete Strecken. Das Resultat der Berechnungen: Der Kilometer auf der Schiene kostet gut 20 Rappen, auf der Strasse sind es 5 bis 6 Rappen. Beim Strassenverkehr erfolgt die Bepreisung pro Fahrzeug bei durchschnittlicher Auslastung – und nicht pro Person. Letzteres würde aus Sicht des ACS wenig Sinn machen, da stärker ausgelastete Fahrzeuge «sich lohnen» sollen. Anders beim Schienenverkehr. Hier erfolgt die Bepreisung pro Person, analog zum heutigen ÖV-Ticket. Laut ACS lassen sich die beiden Preisniveaus nicht direkt vergleichen, weil bei der Strasse nur die Infrastrukturkosten abgedeckt sind, bei der Schiene zusätzlich der Betrieb des Verkehrsmittels.
Zur Grundgebühr kommt ein Zuschlag auf stark belasteten Abschnitten während der Stosszeiten. Für die Autos beträgt der Zuschlagsfaktor 2, für die Schiene 1,25. So berechnet, zahlt ein Personenwagen für die 20Kilometer lange Fahrt von Dietikon nach Kloten zu Randzeiten gut 1Franken Grundgebühr und zu Stosszeiten 2 (dazu kommen variable Kosten von 6Franken, etwa für Reparaturen, Reifen und Treibstoff). Mit dem Zug zahlen die Konsumenten 4Franken, also 30Rappen weniger als heute mit dem Halbtaxabo. Zu Spitzenzeiten 5 Franken (+ 70 Rappen).
Von solchen Preisanreizen erhofft sich der ACS eine Reduktion der Verkehrsmenge während der Stosszeiten, in stark belasteten Gebieten um 10 bis 15 Prozent, was in etwa der Situation während der Sommerferien entspräche. Ziel des ACS ist es, die Finanzierung der Mobilität langfristig sicherzustellen. Deshalb schlägt er vor, in einem zweiten Schritt die weiteren Verkehrsabgaben – also die Mineralölsteuer inklusive Zuschlag – ebenfalls in die Kilometer-Abgabe zu überführen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen aus der Mineralölsteuer trotz wachsender Bevölkerung sinken, weil die technische Entwicklung die Fahrzeuger immer verbrauchsärmer macht.
Verkehrspolitiker reagieren ablehnend auf den ACS-Vorstoss. Die Berner Nationalrätin Evi Allemann (SP) etwa hält es für «wenig sinnvoll», zum heutigen Zeitpunkt von einzelnen Verbänden erarbeitete Umsetzungsmodelle zu bewerten. «Bevor mit Frankenbeträgen jongliert wird, müssen die Ziele festgelegt werden, denen ein allfälliges Mobility-Pricing dienen soll», sagt die Präsidentin des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS). Und rührt damit an einer zentralen Frage: Soll Mobility-Pricing alle Verkehrsträger erfassen – oder nur das Auto und damit zum Road Pricing werden?
Kritisch, wenn auch aus anderem Grund, ist auch der Aargauer FDP-Nationalrat Thierry Burkart. Der Vizepräsident des Touring-Clubs (TCS) hält das ACS-Modell für «wenig ausgegoren». So sei nicht bekannt, welches Preisniveau nötig sei, um die Mobilität zu lenken, sagt er. «Vermutlich würde erst ab erheblichen Preisanstiegen ein Effekt eintreten.» Damit jedoch, warnt Burkart, würden Berufsverkehr und Pendler erheblich getroffen und die Preise nach oben getrieben. Auch der Bündner Nationalrat Martin Candinas (CVP) ist skeptisch. Bereits heute herrsche ein grosser Abwanderungsdruck von ländlichen in städtische Regionen. «Jede Massnahme Richtung fahrleistungsabhängige Abgabe macht den dezentralen Wohnort per se unattraktiver.»
Beim ACS betont man, es handle sich um ein erstes, einfaches Denkmodell, dessen Ausgestaltung und Umsetzung vertieft zu analysieren wäre. Geschäftsführer Lorenz Knecht ist klar, dass das Modell politisch angreifbar ist. «Gleichwohl möchten wir unseren Beitrag für eine fahrleistungsabhängige Finanzierung der Mobilität leisten.»