Die von der Dialogplattform Avenir Mobilité/Zukunft Mobilität organisierte Tagung „Alpenquerender Güterverkehr“ in Bern vermittelte einen Überblick über den aktuellen Stand der Verlagerung des Güterverkehrs auf der Nord-Süd-Achse von der Strasse auf die Schiene.
Schon seit Jahren arbeiten die Schweiz und die EU an der schrittweisen Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene. Der Transport von Gütern auf der Nord-Süd-Achse soll klimafreundlicher, sicherer und zuverlässiger werden. Ein zentrales Ziel ist auch die Klimaneutralität des Verkehrs im Alpenraum bis zum Jahr 2050.
Anlässlich einer Konferenz der Verkehrs- und Energieminister der Alpenländer im vergangenen Oktober wurden die nächsten Schritte zum Erreichen dieser Ziele diskutiert. Acht Länder haben in Brig einen Aktionsplan für die klimafreundlichere Mobilität in den Alpen erarbeitet. In den Bergregionen zeigen sich die Auswirkungen der globalen Erwärmung noch deutlicher als im weltweiten Durchschnitt, betonte die Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), Maria Lezzi, bei der Konferenz in Brig. Daher sei es sinnvoll, dass gemeinsam und unverzüglich gehandelt werde, um die Mobilität im Alpenraum klimafreundlicher zu gestalten. Ebenfalls notwendig sei dazu eine noch bessere internationale Vernetzung.
Die Umwelt- und Verkehrsminister der Alpenländer Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Slowenien, Liechtenstein und Monaco haben sich unter dem Titel Simplon-Allianz verpflichtet, gemeinsam konkrete Massnahmen in den Bereichen Güter- und Personenverkehr sowie Tourismus- und Freizeitmobilität zu ergreifen. Beim Güterverkehr will die Simplon-Allianz die Verlagerung auf die Schiene verstärken, und zudem soll über die Einführung einer Alpensteuer für schwere Nutzfahrzeuge diskutiert werden. Beschleunigt werden soll auch der Ersatz von mit Benzin und Diesel betriebenen Lastwagen durch lokal emissionsfreie Fahrzeuge. Allerdings stellen sich dabei zahlreiche länderübergreifende Fragen zur Umsetzung und zur technologischen Machbarkeit.
Zweck des Dialoganlasses im Hotel Schweizerhof in Bern war es, den Fragen nachzugehen, wie der aktuelle Stand der Verlagerung in Europa im alpenquerenden Güterverkehr ist und welches die Entwicklungsprognosen und Probleme sind. Organisator Avenir Mobilité, die Schweizer Dialogplattform für intelligente Mobilität, und die Österreichische Gesellschaft für Strassen- und Verkehrswesen (GSV) hatten zu diesem „Verlagerungs-Gipfeltreffen“ zahlreiche in- und ausländische Referentinnen und Referenten geladen, die mit ihrer Expertise die Problematik kompetent beleuchteten. Durch die vielschichtigen Vorträge wurde auch klar, dass die Verlagerungsproblematik extrem komplex ist und entsprechend noch viele Probleme zu lösen sind. Ebenfalls kam zum Ausdruck, dass eine weiter verstärkte internationale Zusammenarbeit unbedingt notwendig ist.
Eine vom Bundesamts für Verkehr (BAV) in Auftrag gegebene Studie des Forschungs- und Beratungsunternehmens Infras zeigt, dass ausreichend Trassenkapazitäten vorhanden sind, damit der Schienengüterverkehr seinen Beitrag zur Erreichung des gesetzlich vorgegebenen Verlagerungsziels im alpenquerenden Güterverkehr erreichen kann. Bis 2050 dürfte das Verkehrsaufkommen im alpenquerenden Güterverkehr laut Studie noch um 45 Prozent steigen. Allerdings soll die Zahl der Gütertransporte auf der Strasse dabei 650’000 Fahrten nicht übersteigen. Daraus ergibt sich ein nach wie vor grosser Verlagerungsbedarf von der Strasse auf die Bahn. Der Schienenverkehr sollte in der Lage sein, in Zukunft zwischen 43 und 47 Millionen Tonnen an Güternachfrage zu bewältigen.
Bei der Tagung in Bern betonte Maria Lezzi, dass sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr bis 2050 weiter zunehmen werde und dass im Rahmen der Simplon-Allianz ein Aktionsplan erstellt worden sei, nach dem unter anderem Nachtzüge wieder zugelassen werden sollen und ÖV-Abos eingeführt werden könnten. Als vor allem wichtig erachtet die studierte Geografin eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen und zwischen den Staaten.
Linda Thulin, Präsidentin des europäischen Rail Freight Corridor (Scanmed), wies darauf hin, dass ein Zug soviel Güter transportiere wie 30 LKW. Ausserdem betonte sie, dass es wesentlich attraktivere Fahrpläne und dadurch deutlich mehr Zuverlässigkeit bei den Transporten braucht, um den Wandel zu beschleunigen. Die Bahn muss weiter verbessert werden: mit längeren, schwereren Zügen oder aber mit leichteren Zügen, die in viel kürzeren Intervallen verkehren. Und stets gelte, meinte die Schwedin, dass Zuverlässigkeit unbedingt gewährleistet sein muss, denn sonst würde stets der Strassentransport bevorzugt.
Scharfe Kritik an den zum Teil desolaten Bahnverbindungen – ganz besonders auf den Strecken der Deutschen Bahn – übten auch Sven Flore, der CEO der SBB Cargo AG, und Irmtraud Tonndorf, Kommunikations- und Marketing-Direktorin bei der Hupac Intermodal AG. Durch die grossen Verspätungen würden Transportketten unterbrochen, was in den meisten Fällen zu Auftragsverlusten, Produktionsproblemen und Mehrkosten führe.
Aber auch beim LKW-Verkehr bedarf es laut Expertenmeinung dringend einer Verbesserung. besonders die Stausituation ist manchenorts katastrophal. Stehende Lastwagen können nicht rechtzeitig ankommen. Ebenso wie mehrere Vertreter des Bahnverkehrs fordert auch der österreichischen LKW-Transportunternehmer Fritz Müller die Aufhebung des Nachtfahrverbots.
Ulrich Puz, Dozent und Unternehmensberater in Österreich, bemängelt die hohen Kosten der Bahnkorridore. Dabei liesse sich der Schienenverkehr mit verschiedenen Massnahmen verbessern. So müsste ein neues Berufsbild „Eisenbahner“ geschaffen werden, die Betriebssprache und die Fördermodelle müssten vereinheitlich werden, es bräuchte strengere Kontrollen im Strassenverkehr und der Gütervermehr müsste in den CO 2 -Emissionenhandel aufgenommen werden.
Auch Politiker kamen bei der Tagung in Bern zu Wort. SP-Nationalrat Jon Pult, Bündner und erklärter Bewahrer der alpinen Schönheiten, mit hehren Schienenideen, und Benjamin Giezendanner, Aargauer SVP-Nationalrat und Güterverkehrsexperte mit eigenem Transportunternehmen, kreuzten ebenfalls die Klingen – grösstenteils jedoch mit erstaunlich viel Konsens, beide mit durchaus vernunftgeleiteten Ideen für eine Verbesserung der Transportwege und damit verbundenen einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Unbeantwortet bleibt aber die immer wieder gestellte Frage, wie sinnvoll denn die vielen Hin-und-her-Transporte von Industrieprodukten und Nahrungsmitteln ist.
Text und Bilder Stephan Hauri