Das Thema der Verfolgung von Verkehrsdelikten, die ausserhalb des Wohnsitzlandes begangen wurden, kehrt mit einiger Regelmässigkeit zurück. Besonders heikel für Schweizer Autofahrer, die in Italien Verstösse begehen, ist der Rückgriff der italienischen Gemeinden auf schweizerische oder ausländische Unternehmen, um nicht bezahlte Bussgelder einzutreiben. Während nämlich mit Deutschland, Österreich und Frankreich Abkommen in Kraft sind, die einen erleichterten Informationsaustausch und Rechtshilfe auch bei der Eintreibung von Ordnungsbussen vorsehen, sieht das Abkommen zwischen der Schweiz und Italien nichts dergleichen vor. Nicht selten kommt es daher zu Mahnungen von Inkassounternehmen, die im Auftrag italienischer Städte Jahre später Zahlungsandrohungen mit exorbitanten Inkassokosten verschicken, ohne die notwendigen Beweise zu erbringen.
Je nachdem, wie bedrohlich, oberflächlich und kostspielig diese Forderungen für den Empfänger sind, können die Straftatbestände der Drohung (Art. 180 StGB), der Nötigung (Art. 181 StGB) oder sogar der Erpressung (Art. 156 StGB) erfüllt sein, bzw. der Straftatbestand des Art. 271 StGB, der denjenigen bestraft, der in der Schweiz unbefugt eine Handlung im Auftrag eines ausländischen Staates vornimmt.
Um diesem Phänomen Einhalt zu gebieten, hatte die Bundesanwaltschaft versucht, die Direktoren einer im Kanton Waadt ansässigen Firma zu belangen, die im Auftrag der Stadt Turin einen Schweizer Autofahrer zur Zahlung einer Geldstrafe und der damit verbundenen Mahngebühren - die sich auf 542,35 CHF belaufen hatten - verurteilt hatten, weil dieser Jahre zuvor unberechtigt in einer verkehrsberuhigten Zone gefahren war. Unerheblich für das Verfahren, aber vielleicht nicht für die Beschwerde des Autofahrers, war die Tatsache, dass die Geldstrafe (von 120,40 CHF) bereits bezahlt worden war. Gegen die beantragte Verurteilung argumentierten die Firmenorgane, sie hätten nicht gewusst, dass sie rechtswidrig handelten, da die Eintreibung ausländischer Bussen durch private Firmen üblich sei.
Während das Bundesstrafgericht und das Strafberufungsgericht die von der MPC vorgeschlagene Verurteilung aufrechterhielten, entlastete das Bundesgericht (BGer) in einem Urteil vom letzten Jahr die Direktoren letztlich mit der Begründung, dass es sich dabei immer noch um eine letzte (zulässige) Mahnung und nicht um den ersten (verbotenen) Schritt eines Inkassoverfahrens handele, das allein der staatlichen Behörde vorbehalten sei, die auf der Grundlage eines rechtskräftigen ausländischen Urteils tätig werde.
Auch wenn die strafrechtliche Verfolgung eines solchen Verhaltens also noch in weiter Ferne zu liegen scheint, ist zu hoffen, dass die verantwortlichen Unternehmen ihren Ton endlich mässigen, dass die italienischen Gemeinden ihre Bussgelder sorgfältiger ausstellen und eintreiben und dass die Schweizer Autofahrer noch vorsichtiger sind, sich nicht ungebührlich unter Druck setzen zu lassen. Dies natürlich unter der Prämisse, dass die Bussgelder, sofern sie gerechtfertigt sind, bezahlt werden müssen, auch um zu vermeiden, dass man sich grössere Probleme einhandelt (die bis zur Beschlagnahmung des Fahrzeugs gehen können), wenn man wieder ins Ausland fährt, ohne alle Schulden beglichen zu haben.
Autor:
Simone Giannini
Präsident ACS - Sektion Tessin
Rechtsanwalt und Notar, Partner Anwaltskanzlei Barchi Nicoli Trisconi Gianini, Lugano und Bellinzona