"Der Verkauf von E-Fahrzeugen wird wieder zunehmen, aber nicht mehr so stark wie früher"
Rückläufige Verkaufszahlen von Elektroautos und die Krise der europäischen Automobilhersteller haben in den letzten Monaten die Schlagzeilen beherrscht und grosse Sorgen um die wirtschaftliche und soziale Zukunft des Kontinents ausgelöst. Doch wie berechtigt sind diese Sorgen? Und wie könnten die Zukunftsszenarien aussehen? Darüber sprachen wir mit Stefano Aversa, Global Vice-Chairman des multinationalen Unternehmens AlixPartners, einer weltweit tätigen Beratungsfirma, und Experte für die Automobilbranche.
Man muss sagen, dass diese Art von Autos seit weniger als zehn Jahren auf dem Markt ist und seit der Pandemie etwas an Schwung verloren hat. Die Verlangsamung der Verkäufe hat mehrere Gründe. Zunächst einmal war und ist das Elektroauto ein teures Produkt. Als es von den Pionieren auf den Massenmarkt kam, sank der Preis, aber nicht so stark, weil die Stückzahlen immer noch gering sind und weil das Angebot immer an Autos der Oberklasse gebunden war, deren Preise in der Regel über CHF 40'000.- lagen. Erst in letzter Zeit kommen Autos um die 30'000 auf den Markt - vor allem von chinesischen Herstellern. Der zweite Grund hängt mit der Nutzung zusammen.
Wir, AlixPartners, haben kürzlich eine Studie durchgeführt, die eine sehr hohe Zufriedenheit mit dem Elektroauto an sich ergab, aber eine sehr geringe Zufriedenheit mit der praktischen Nutzung und insbesondere mit dem Aufladen, das manchmal unzuverlässig ist und zu häufig durchgeführt werden muss. Die zugelassene und somit von den Herstellern angegebene Reichweite ist in Wirklichkeit viel geringer als die tatsächliche Reichweite. Öffentliche Ladestationen sind noch immer rar gesät und oft nicht für alle Marken geeignet. Der dritte Grund sind die Anreize für diese Autos, die in mehreren europäischen Ländern wegfallen. Dies hat zu einem Einbruch der Verkaufszahlen geführt. Für die Zukunft rechne ich mit einem erneuten Wachstum, das jedoch geringer ausfallen wird als das bisherige, welches bei 30 Prozent jährlich lag.
Sie ist sicherlich real. Um es gleich vorweg zu sagen: Der europäische Automarkt stagniert, wenn er nicht sogar rückläufig ist, weil er gesättigt ist. Die ist zum Teil auf die abnehmende und alternde Bevölkerung zurückzuführen, die nicht mehr so bereit ist, Autos zu nutzen. Darüber hinaus sind die Preise während der Pandemie stark gestiegen und haben in den letzten Jahren nicht mehr das frühere Niveau erreicht. Auch die Gesamtwirtschaft glänzt nicht gerade mit einem Wachstum von knapp über Null.
Zu diesen Aspekten kommt noch die Konkurrenz aus China hinzu. Die chinesische Wirtschaft hat grosse Produktionskapazitäten aufgebaut, die weit über das hinausgehen, was ihr Markt aufnehmen kann, so dass die asiatischen Hersteller auch den europäischen Markt ins Visier nehmen, insbesondere mit Fahrzeugen des mittleren und unteren Marktsegments. Heute halten sie 5 Prozent des europäischen Marktes, und wir erwarten, dass dieser Anteil bis 2030 auf 12 Prozent und bis 2035 auf 20 Prozent ansteigen wird.
Nicht zu vergessen sind die zu erwartenden Investitionen der weltweiten Hersteller in das Elektroauto (schätzungsweise mehr als 300 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren). Dieses Geld muss wieder hereingeholt werden. Wir sehen also heute eine grosse finanzielle Anstrengung der Hersteller, die sich nicht sofort durch die viel geringeren Produktionsmengen im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen amortisiert. Es ist daher ganz natürlich, dass wir eine Zeit mit geringeren Gewinnen erwarten. Allerdings sollte man auch bedenken, dass wir eine Zeit hinter uns haben, in der die Hersteller Rekordgewinne und sehr solide Bilanzen vorweisen konnten.
Es ist sinnvoll, den Grund für die Zölle zu erklären, die zwischen 17 % und 37 % liegen, anstatt der bisherigen 10 %. Die europäischen Länder haben sie eingeführt, um einen allmählichen Übergang zum Elektroauto zu fördern, und sie sind eine Reaktion auf die umfangreichen staatlichen Beihilfen, die chinesische Automobilhersteller erhalten haben. Die Zölle werden sicherlich die Kluft zwischen Europa und China verkleinern und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Autos beeinträchtigen. Aus diesem Grund erwägen die Chinesen ernsthaft den Bau neuer Fabriken, und sei es auch nur für die Montage, in Europa und in Zukunft in den USA.
Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die dieser Übergang unweigerlich mit sich bringt, müssen abgefedert werden. Ein Prozess, der die Hersteller viel kostet, dessen Folgen aber auch die Kunden und damit alle Bürger über die Autopreise und Steuern zu spüren bekommen werden. Es ist daher notwendig, diesen Übergang, der unweigerlich auch zu Entlassungen führt, zu begleiten. Insbesondere wird davon ausgegangen, dass bis im Jahr 2035 300'000 Arbeitnehmer in diesem Sektor umgeschichtet werden müssen, abzüglich derjenigen, die sofort eine Beschäftigung finden.
Wir sprechen hier von dem Sektor, welcher der grösste Arbeitgeber in der Industrie in Europa ist. Es werden daher Anreize für Innovation und Entwicklung benötigt. Es wird, wenn auch in abnehmendem Masse, Anreize für die Nachfrage geben müssen. Aber auch technologische Entwicklungen, um die Preise verschiedener elektrischer Komponenten wie Batterien zu senken, denn ich möchte daran erinnern, dass neue Autos einen immer ausgeklügelteren Elektro- und Softwareanteil haben und dies in Zukunft auch in Autos vorherrschen wird.
Analytiker haben reine Elektromarken wie Tesla und Rivian schon immer belohnt, vielleicht sogar überproportional. Dies hat einige Hersteller wie Renault, Volvo, Maserati und Jaguar dazu veranlasst, reine Elektromarken zu schaffen, um diesem finanziellen Trend gerecht zu werden und damit die Marken aufzuwerten. Dieser Trend hat sich in letzter Zeit etwas abgeschwächt, mit Ausnahme des Sonderfalls Tesla. Andererseits wurden die Traditionshersteller, die diesem Trend nicht gefolgt sind, bestraft.
Interview Benjiamin Albertalli / Bilder zVg