Da die Batterie eines Elektroautos in der Regel mehr als das tägliche Mobilitätsbedürfnis abdeckt, soll die freie Speicherkapazität für Privathaushalte und für KMU nutzbar gemacht werden. In einem nächsten Schritt können ausserdem neue Dienstleistungen zur Stabilisierung des Stromnetzes etabliert werden.
Anlässlich der «Tage der Technik» bei der Empa in Dübendorf referierten Experten zum Thema «Elektromobilität – Unterschätzter Baustein der Energiewende?». Marco Piffaretti, Mitbegründer und VRP des Startups Sun2wheel, formulierte dort das Ziel dieses Unternehmens, bidirektionales Laden als Standard zu etablieren und intelligente Lade- und Speicherlösungen anzubieten. «Bidirektionales Laden wird Standard werden bei praktisch allen Herstellern, denn diese müssen nur das Minuszeichen der Ladung freigeben.» Zusammen mit dem Carsharing-Unternehmen Mobility, dem Autohersteller Honda und Ladestationenentwicklern packt Sun2wheel nun das Projekt V2X Suisse an. Unterstützt wird dieses auch vom Bundesamt für Energie. «Gemeinsam werden wir bidirektional ladende Autos so rasch wie möglich auf die Strasse bringen. So können wir dringend benötigte Erfahrungen sammeln», sagt Piffaretti, der auch Projektleiter von V2X Suisse und Elektromobilitätsexperte bei Mobility ist.
Das Elektroauto hat gleich mehrere Möglichkeiten, sich im Stromhaushalt nützlich zu machen. In den 23 Stunden pro Tag, in denen es im Durchschnitt steht statt fährt, übernimmt es verschiedene Funktionen, die als V2X zusammengefasst werden können.
Vehicle-to-home (V2H) ermöglicht die Versorgung des eigenen Haushalts mit der gespeicherten elektrischen Energie des Elektroautos. Die gesamten Lade- und Rückspeisevorgänge finden hinter dem Hauszähler statt. Piffaretti meint: «Bidirektionales Laden ist heute interessant für alle, die eine Photovoltaikanlage haben. Damit lässt sich der Eigenverbrauch optimieren, ohne dass eine Extrabatterie gekauft werden muss. Sun2wheel bietet dazu passende bidirektionale Ladestationen bereits an – auch mit CCS-Combo-Stecker.»
Bidirektional ladefähige Elektroautos können elektrische Energie auch wieder in ein Gebäude mit mehreren Bezügern zurückspeisen. Vehicle-to-building (V2B) ermöglicht dann die Versorgung des eigenen Mehrfamilienhauses oder des Gewerbebetriebs mit Energie aus dem Auto. Zudem können auf diese Weise gebäudeinterne Lastspitzen gekappt werden. Auch als Teil eines intelligenten Energiesystems können E-Fahrzeuge Strom wieder ins Netz einspeisen. Dieser Vorgang wird durch Signale des Netzbetreibers gesteuert und kann sowohl auf öffentlichen Ladeplätzen als auch innerhalb von Gebäuden erfolgen (V2G, Vehicle-to-Grid). Lade- und Entladevorgänge einer grösseren Anzahl von Autos können dabei als Dienstleistungen im Energiehandel und zu Stabilisierungszwecken dienen. «Bidirektionales Laden kann zusätzlich auch noch für Swissgrid und regionale Netzbetreiber dienlich sein. Dazu wird die Regelleistung einfach noch weiter ins Netz geschoben.» Zusammengefasst werden die genannten Anwendungen unter dem Begriff V2X, wobei auch kombinierte Anwendungen denkbar sind.
Aufgrund von aktuellen Untersuchungen und den Erfahrungen japanischer Autohersteller vermutet Piffaretti, dass häufiges Auf- und Entladen für die Lebensdauer der Autobatterie weniger kritisch ist als Schnellladungen und Ladungen bis 100 Prozent der Kapazität: «Die Batterien vertragen das bestimmt, denn die Japaner lassen das bidirektionale Laden seit zehn Jahren ohne Probleme zu. Und andere Autohersteller sind in der Lage, genau so gute Batterien zu bauen.» Da die Entladeleistung beim bidirektionalen Laden im Vergleich zum Fahrbetrieb um mindestens den Faktor zehn geringer ist, sollte die zusätzliche Alterung der Batterie gering bleiben. Schliesslich müssen auch für bidirektional ladende Modelle unveränderte Garantieleistungen geboten werden.
Seit kurzem laufen nun in der Schweiz gemeinsame Untersuchungen. Während eines Jahres stehen an rund 40 Mobility- Standorten insgesamt 50 Honda e zum Mieten bereit. Die Energie wird dabei laut Mobility-Angaben lediglich während 15 Minuten zurück ins Netz gespeist, damit stets genug Strom für den Carsharing-Einsatz verfügbar ist. Langfristigere Perspektiven beurteilt das Carsharing-Unternehmen als vielversprechend. Ein stillstehendes Mobility-Elektroauto könne bis zu 20 kW Regelleistung zurück ins Netz speisen. Das würde, auf die ganze Flotte hochgerechnet, die bis 2030 aus 3000 Elektromodellen bestehen soll, 60 MW ergeben. Dies wiederum entspricht einer Leistung, die beispielsweise das Tessiner Pumpspeicherkraftwerk Peccia übertrifft. Für Piffaretti steht also fest: «Die Elektromobilität der Zukunft ist geteilt, bidirektional und netzdienlich.»
Weltweit erstmalig kommt bei V2X Suisse der europäische CCS-Combo-Steckerstandard zum Einsatz. «Das Pilotprojekt V2X Suisse mit den 50 bidirektional ladefähigen Honda e soll nun klären, ob das netzdienliche Laden für die Netzbetreiber und für Swissgrid sinnvoll ist», hält der Experte fest.
Das Projekt V2X Suisse läuft noch bis Ende 2023. Bis dann wollen die Partner das betriebswirtschaftliche Potenzial solcher Fahrzeuge abklären. Auch soll herausgefunden werden, wie oft dank V2X Lastspitzen im Stromnetz gebrochen werden können. Angesichts der aktuellen Stromversorgungslage ist es auch von zentraler Bedeutung, dass sich Blackouts in den Wintermonaten verhindern lassen.
Zurzeit sind jedoch noch lange nicht alle Elektroautos in der Lage, ihre in der Batterie gespeicherte Energie hin und her zu verschieben. Grundsätzlich können dies die japanischen Modelle, da es vom japanischen Staat vorgeschrieben wird. Möglich ist das bidirektionale Laden vor allem bei Fahrzeugen mit Chademo-Schnittstelle – beispielsweise dem Nissan Leaf –, selten mit CCS-Schnellladekabel wie beim Honda e. Allerdings haben inzwischen viele Fahrzeughersteller die Einführung von bidirektional ladbaren Elektromodellen in Aussicht gestellt. Ausserdem kann mit der Einführung einer internationalen Norm bis 2025 gerechnet werden, die das bidirektionale Laden mit CCS-Ladesteckern verbindlich regeln wird.
Text: Stephan Hauri
Bilder: zVg